
Demos 1/2022
Schwangerschaften und Geburten unter schwierigen Bedingungen
Vorwort
Bei den Geburten trägt die öffentliche Statistik häufig nur den Lebendgeburten Rechnung. Aber was ist mit anderen Realitäten? Mit den Schwangerschaften, die kein glückliches Ende finden, die nur schwer zustande kommen oder aus irgendeinem Grund unterbrochen oder verschoben werden? Die erste Ausgabe von Demos im Jahr 2022 beleuchtet Schwangerschaften und Geburten, die durch biologische Prozesse, Zeitfaktoren oder die gesundheitliche Situation beeinträchtigt wurden.
Die grosse Mehrheit der Geburten verläuft heute ohne Komplikationen. In seltenen Fällen kommt es jedoch vor, dass ein Kind totgeboren wird oder im ersten Lebensjahr verstirbt. Bestimmte Faktoren scheinen bei diesen beiden Formen von Todesfällen immer noch eine Rolle zu spielen. Welche Faktoren nehmen Einfluss und wie haben sie sich im Zeitverlauf entwickelt?
Nach einem langen und schwierigen Weg greifen einige Paare auf die medizinisch unterstützte Fortpflanzung zurück. Heute werden damit bei den Schwangerschaften, den Geburten und der perinatalen Sterblichkeit vermehrt positive Ergebnisse erzielt. Was lässt sich beobachten?
Seit 2017 werden rund sechs bis sieben Schwangerschaftsunterbrüche pro 1000 Frauen mit Wohnsitz in der Schweiz verzeichnet. Diese Rate widerspiegelt sowohl die sozialen Einflüsse als auch die individuellen Entscheide, die je nach Kontext unterschiedlich sein können. Wir liefern eine Analyse dazu.
Hatten die Unsicherheit im Zusammenhang mit der Pandemie ab 2020, deren Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation sowie die von den Regierungen ergriffenen Lockdown-Massnahmen Einfluss auf die Familienplanung? Der letzte Artikel ist der Geburtenentwicklung in der Schweiz Ende 2020 und Anfang 2021 gewidmet. Die Daten werden mit jenen von Spanien, Frankreich und Italien verglichen.
Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre!
Fabienne Rausa, BFS
1 Totgeburten und Säuglingssterblichkeit:
Wenn Tod und Geburt nahe
beieinanderliegen
Eine Totgeburt erschüttert ein in der Regel mit Freude erwartetes Ereignis und ein Todesfall im ersten Lebensjahr setzt einem kaum begonnenen Leben ein jähes Ende. Nach einem starken Rückgang im 20. Jahrhundert kommen beide Arten von Todesfällen heutzutage immer noch vor, wenn auch nur vereinzelt.
Heute wird die Mehrheit der Kinder lebend geboren. Die öffentliche Statistik erfasst und veröffentlicht jedoch jedes Jahr auch die Zahl der Totgeburten Als «totgeboren» (Totgeburt) wird heute ein Kind bezeichnet, das ohne Lebenszeichen auf die Welt kommt und ein Geburtsgewicht von mindestens 500 Gramm oder ein Gestationsalter von mindestens 22 vollendeten Wochen aufweist. Das Mindestgestationsalter ist wichtig, um Fehlgeburten von den fötalen Todesfällen in der Spätschwangerschaft (Totgeburten) zu unterscheiden. Die berücksichtigten Lebenszeichen entsprechen der üblichen klinischen Praxis. Diese beiden Kriterien ändern sich im Zeitverlauf, so dass die Definition von Totgeburt dem historischen Kontext unterliegt. und jene der Kinder, die im ersten Lebensjahr sterben. In den letzten fünf Jahren wurden in der Schweiz im Durchschnitt jedes Jahr 355 Totgeburten und 302 Todesfälle von Kindern unter einem Jahr verzeichnet. Im Jahr 2020 betrug die Totgeburtenrate Anzahl totgeborene Kinder pro 1000 Geburten 3,7 pro 1000 Geburten und die Säuglingssterbeziffer Anzahl Todesfälle von Kindern unter einem Jahr pro 1000 Lebendgeburten lag bei 3,6 pro 1000 Lebendgeburten.
In der Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung (BEVNAT) stehen verschiedene demografische Variablen zu Mutter und Kind zur Verfügung, die bestimmte Risikofaktoren erkennen lassen.
Auswirkungen der Verbesserungen in neuerer Zeit auf die Totgeburten und die Säuglingssterblichkeit
Seit 1803 liegen historische Daten zu den Totgeburten in der Schweiz vor. In der Vergangenheit gab es viel mehr fötale Todesfälle in der Spätschwangerschaft als heute: Während es 1803 insgesamt 2180 waren, wurden 2020 noch 319 gezählt. Diese Todesfälle sind auf zwei Faktoren zurückzuführen. Einerseits haben bestimmte exogene Faktoren wie Hungersnöte, Infektionen, beschränkter Zugang zu geburtshilflicher Versorgung oder Stress einen Einfluss auf die körperliche Verfassung der Mutter vor und während der Schwangerschaft. Andererseits spielen auch endogene Faktoren wie Vererbung, angeborene Fehlbildungen sowie der allgemeine Gesundheitszustand von Mutter und Fötus eine Rolle.
Relativ betrachtet wurden im 19. Jahrhundert durchschnittlich 40 totgeborene Kinder pro 1000 Geburten gezählt. Im 20. Jahrhundert ging diese Rate mit den verbesserten Geburtsbedingungen von 35‰ im Jahr 1900 auf etwa 4‰ Mitte der 1980er-Jahre zurück. In der Folge blieb die Rate bis heute relativ stabil (vgl. Grafik G1).
Die Informationen zur Säuglingssterblichkeit wurden erstmals 1876 erhoben. Ein Teil der oben genannten Faktoren ist auch für die Todesfälle im ersten Lebensjahr relevant. Im 20. Jahrhundert ging die Zahl der Todesfälle bei Kindern unter einem Jahr sehr stark zurück (vgl. Grafik G1). 1876 verstarben 17 899 Babys vor ihrem ersten Geburtstag, im Jahr 2020 waren es noch 313. Dieser Rückgang ist auf die Fortschritte bei der Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit zurückzuführen. Diese stehen mit den damaligen Fortschritten hinsichtlich Lebensbedingungen, insbesondere verbesserter Hygiene, Ernährung, Bildung und sozioökonomischem Umfeld, sowie mit den medizinischen Fortschritten wie der Bekämpfung der Infektionskrankheiten in Zusammenhang. Der allgemeine Rückgang wurde jedoch von punktuellen Spitzen bei den Todesfällen begleitet. So führte die Hitzewelle im Sommer 1911 zu einer aussergewöhnlich hohen Säuglingssterblichkeit aufgrund von Durchfall und Dehydrierung. Auch während der Spanischen Grippe von 1918 und während des Zweiten Weltkriegs stieg die Säuglingssterblichkeit wieder an.
Relativ betrachtet ging die Säuglingssterbeziffer von 197 Todesfällen im ersten Lebensjahr pro 1000 Lebendgeburten im Jahr 1876 auf 6,8‰ im Jahr 1990 zurück und betrug im 2020 noch 3,6‰. Seit Mitte der 1990er-Jahre nimmt diese Rate zwar immer noch ab, aber deutlich langsamer. Die gesunkene Säuglingssterblichkeit begünstigte auch die steigende Lebenserwartung.

Die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen
werden geringer
Während langer Zeit schien das Geschlecht des Kindes eine Rolle gespielt zu haben. Im Allgemeinen zeigen die historischen Daten, dass Totgeburten und Todesfälle im ersten Lebensjahr bei Jungen häufiger auftraten als bei Mädchen.
Zwischen 1867 und 2020 ging die Totgeburtenrate für beide Geschlechter zurück: bei den Mädchen von 42‰ auf 4‰ und bei den Jungen von 51‰ auf 3‰. Der Unterschied zwischen Mädchen und Jungen glich sich in den 1970er-Jahren aus. Seither ist das Risiko für einen fötalen Todesfall in der Spätschwangerschaft bei beiden Geschlechtern gleich gross. Zu erwähnen ist, dass die Zahl der totgeborenen Kinder in der Schweiz zwischen 2019 und 2020 abnahm (–7,3%), und zwar stärker bei den Jungen (–13,4%) als bei den Mädchen (–0,6%). Während die Totgeburten zurückgingen, stiegen die Todesfälle rund um die Geburt im Jahr 2020 an. Die perinatale Sterblichkeit ist ein Indikator der Totgeburten und der Todesfälle in den ersten sieben Lebenstagen. 2020 belief sich die perinatale Sterblichkeit bei den Mädchen pro 1000 Geburten auf 6,4 Totgeburten und Todesfälle in den ersten sieben Tagen (insgesamt 268 Todesfälle) und auf 6,3‰ bei den Jungen (insgesamt 281 Todesfälle). Zum Vergleich: 2019 betrug die perinatale Sterblichkeit 6,2‰ bei den Mädchen und 6,4‰ bei den Jungen.
Bei den Mädchen ging die Säuglingssterbeziffer von 187 Todesfällen im ersten Lebensjahr pro 1000 Lebendgeburten im Jahr 1876 auf 3‰ im Jahr 2020 zurück, und bei den Jungen von 222‰ auf 4‰. In der heutigen Zeit kommen Todesfälle vor dem ersten Geburtstag immer noch häufiger bei den Jungen als bei den Mädchen vor, wobei der Unterschied relativ gering ist.
Bedeutung von Wohlbefinden und Gesundheit
der Mutter
Der Zivilstand der Mutter scheint ebenfalls Einfluss auf den Ausgang der Schwangerschaft zu haben. Die seit 1922 verfügbaren Daten zeigen, dass Totgeburten bei nicht verheirateten Müttern häufiger sind (vgl. Grafik G2). Man kann sich fragen, wie der Blick der Gesellschaft auf eine unverheiratete schwangere Frau vor der Revision des Kindsrechts von 1978 Mit der Revision des Kindsrechts von 1978 erreichten ausserhalb der Ehe gezeugte Kinder eine weitgehende rechtliche Gleichstellung, sodass man zwar noch von nichtehelichen Geburten sprechen kann, der Begriff der Illegitimität aber nicht mehr angebracht ist. Im katholischen Kirchenrecht erfolgte diese Gleichstellung 1983. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 22.01.2008. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016112/2008-01-22/ war und welche Auswirkungen diese Situation auf deren Gesundheitszustand hatte.
Gegen Ende der 1970er-Jahre glich sich die Totgeburtenrate der unverheirateten Mütter an jene der verheirateten Mütter an. Sie liegt aber auch heute noch leicht über jener der verheirateten Mütter (5‰ gegenüber 3‰).
Die Information zum Zivilstand von Müttern, deren Kind im ersten Lebensjahr verstarb, wurde nur zwischen 1979 und 1997 erhoben. Eine Publikation des Jahres 2012 (BFS) bestätigt, dass die Säuglingssterbeziffer bei ledigen, geschiedenen oder verwitweten Müttern höher ist als bei verheirateten.

Das Risiko einer Totgeburt sowie von Todesfällen im ersten Lebensjahr ist auch je nach Alter der Mutter unterschiedlich gross. Seit 1970 kommen Totgeburten und Säuglingstodesfälle bei den jüngsten sowie bei den ältesten Müttern häufiger vor. Zwischen 2010 und 2020 waren sie bei Müttern ab 40 Jahren besonders häufig. Diese Tatsache ist kaum überraschend, gehen doch späte Schwangerschaften mit einer Reihe von spezifischen Komplikationen einher.
Fazit
Totgeburten und Todesfälle im ersten Lebensjahr kommen heutzutage immer noch vor, wenn auch selten. Die Verbesserung der Lebensbedingungen, des Gesundheitswesens und der Bildung trugen zu deren Rückgang im Zeitverlauf bei. Bestimmte Faktoren wie das Geschlecht des Kindes sowie der Zivilstand und das Alter der Mutter scheinen bei beiden Formen von Todesfällen immer noch eine Rolle zu spielen.
Fabienne Rausa, Tonia Rihs, BFS
Literaturverzeichnis
BFS (2012): Totgeburten und Säuglingssterblichkeit 2003–2010. Entwicklungen, Todesursachen und Risikofaktoren , Neuchâtel.
2 Schwangerschaftsabbrüche 2007–2020
Die Rate der Schwangerschaftsabbrüche in der Schweiz ist im internationalen Vergleich niedrig, auch wenn diese seit 2017 wieder kontinuierlich zunimmt. Sie erreicht 2020 wieder einen vergleichbaren Wert wie im Jahr 2010. Seit 2010 ist das mittlere Alter der Frauen angestiegen und die Zahl der medikamentösen Abbrüche hat zugenommen. 95% der Schwangerschaftsabbrüche finden, wie auch in den Vorjahren, vor der 12. Schwangerschaftswoche statt. Somit hat sich auch der Anteil der Abbrüche nach der 12. Schwangerschaftswoche nicht verändert.
Die Rate der Schwangerschaftsabbrüche reflektiert sowohl gesellschaftliche Einflüsse als auch individuelle Entscheide, welche sich je nach Umfeld unterschiedlich ausprägen können. Tiefere Abbruchraten werden im Allgemeinen mit einer besseren Nutzung der Angebote zur Familienplanung, sowie der Anwendung von angemessenen Methoden zur Verhütung von Schwangerschaften in Verbindung gebracht. Die Rate der Schwangerschaftsabbrüche in der Schweiz ist im europäischen Vergleich niedrig. Nachdem diese Rate seit 2010 zunächst gesunken ist, ist sie seit 2017 von 6,2 auf 6,5 im Jahr 2019 und im Jahr 2020 auf 6,8 Abbrüche pro 1000 Frauen Die Schwangerschaftsabbruchrate wird pro 1000 Frauen zwischen 15 und 44 Jahren mit Wohnsitz in der Schweiz berechnet. mit Wohnsitz in der Schweiz angestiegen. In absoluten Zahlen wurden 2020 in der Schweiz insgesamt 11 143 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt.
Die meisten Schwangerschaftsabbrüche wurden auch 2020 in den ersten acht Schwangerschaftswochen durchgeführt (77%) und 95% aller Abbrüche erfolgten vor der zwölften Schwangerschaftswoche. 79% der Schwangerschaftsabbrüche erfolgten durch Einnahme von Medikamenten und 21% der Abbrüche durch chirurgische Intervention. Gesamtschweizerisch haben die medikamentösen Abbrüche 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 11% zugenommen.
Betrachtet man das Alter der Frauen, zeigt sich, dass 52,7% der Abbrüche bei Frauen über 30 Jahren erfolgen. 47,3% der Abbrüche erfolgen zwischen dem Alter von 15 und 30 Jahren. In den letzten zehn Jahren liessen mehr Frauen über 30 einen Schwangerschaftsabbruch durchführen, während die Anteile der Frauen bis zu 24 Jahren abgenommen haben (vgl. Grafik G3).

Bei den 15- bis 19-jährigen Frauen blieb die Abbruchrate im Vergleich zu den Vorjahren auf niedrigem Niveau relativ konstant und hat sich im Vergleich zu 2010 reduziert. 2010 lag die Abbruchrate in dieser Altersklasse bei 4,6 pro 1000 Frauen. Im Jahr 2020 ist die Abbruchrate in dieser Altersgruppe auf 3,5 Schwangerschaftsabbrüche pro 1000 Frauen gesunken. Dies entspricht 710 Frauen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren.
Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch
vor der 12. Schwangerschaftswoche
In der Schweiz kann seit Oktober 2002 eine Schwangerschaft vor der 12. Schwangerschaftswoche auf schriftliches Verlangen der Frau abgebrochen werden. Der Abbruch erfolgt durch eine zur Berufsausübung zugelassene Ärztin oder einen zur Berufsausübung zugelassenen Arzt (StGB. Art. 119, Absatz 2). Zwölf Kantone Die 12 Kantone, welche die Gründe für einen Abbruch erheben und an das BFS übermitteln sind BE, UR, SZ, OW, FR, BS, BL, AG, TG, TI, VD und JU. erheben die Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch und stellen diese dem BFS zur Verfügung. In dieser Erhebung können jeweils mehrere Gründe angegeben werden.
Seit 2007 sind bei Abbrüchen vor der 12. Schwangerschaftswoche psychosoziale Gründe mit 97% am häufigsten Pro Meldung ist die Angabe von mehreren Gründen möglich. . Psychiatrische Gründe (1,5%), somatische Gründe der Frau (1,2%) oder somatische Gründe beim Foetus (0,2%) werden bei Abbrüchen vor der 12. Schwangerschaftswoche selten genannt.
Da psychosoziale Gründe insgesamt am häufigsten angegeben werden, und diese bis 2020 in acht Kantonen detailliert erhoben wurden, sollen sie etwas genauer betrachtet werden. Die im Jahr 2020 meist genannten Gründe waren, dass die Frau oder ihr Partner sich gegenwärtig kein Kind wünschen (13%), dass die Frau sich nicht in der Lage fühlt, ein Kind zu erziehen (14%), dass sie kein Kind ohne festen Partner wünscht (7%), sowie dass ihr die soziale oder familiäre Unterstützung fehlt (7%). Weitere Gründe sind die Unvereinbarkeit mit der beruflichen Situation (11%) oder der aktuellen Ausbildung (12%), sowie finanzielle Gründe (7%).
Aus 13 Kantonen Die 13 Kantone, welche die Anzahl Kinder der Frau erheben und an das BFS übermitteln sind BE, LU, UR, SZ, OW, FR, BS, BL, AG, TG, TI, VD und JU. ist auch die Information zur Anzahl der Kinder der Frau verfügbar. In diesen Kantonen haben im Jahr 2020 etwas weniger als die Hälfte (47%) der Frauen bei einem Schwangerschaftsabbruch eines oder mehrere Kinder (vgl. Grafik G4). Die am häufigsten angegebenen Gründe sind, dass die Frau schon genügend Kinder habe (18%) oder das Intervall seit der letzten Geburt zu kurz sei (4%). Der Grund, dass die Frau schon genügend Kinder habe, wurde 2019 seltener genannt (14%) als 2020 (18%), auch wenn sich zwischen 2019 und 2020 kaum Unterschiede in der Kinderzahl zeigten.

Im Vergleich zu 2019 hat 2020 die Angabe von finanziellen Gründen um die Hälfte abgenommen. Probleme in der Partnerschaft werden 2020 mit 8% etwas häufiger berichtet als 2019 (6%). Gewalteinwirkung war 2019 seltener (0,2%) verglichen mit 1% im Jahr 2020.
Inwiefern Lockdown und Pandemie sich auf die Zunahme dieser Gründe im Jahr 2020 ausgewirkt haben, ist mit den vorliegenden Daten nicht zu ermitteln, kann aber hier nicht ausgeschlossen werden.
Gründe für einen Abbruch nach der 12. Schwangerschaftswoche
Nach der 12. Schwangerschaftswoche muss für einen Abbruch eine Indikation vorliegen, die von einer Ärztin oder einem Arzt beurteilt werden muss (StGB. Art. 119. Absatz 1). In der Schweiz sind Abbrüche nach der 12. Schwangerschaftswoche selten. Ihr Anteil bewegt sich seit 2007 unverändert zwischen 4% und 5% aller Fälle. Im Jahr 2020 lag der Anteil bei 5% der Abbrüche, dies betraf 510 Frauen. Aus den 12 Kantonen Die 12 Kantone, welche die Gründe für einen Abbruch erheben und an das BFS übermitteln sind BE, UR, SZ, OW, FR, BS, BL, AG, TG, TI, VD und JU. , welche die Gründe für den Abbruch ans BFS übermitteln, sieht man, dass bei den Abbrüchen nach der 12. Schwangerschaftswoche seit 2016 die somatischen Ursachen beim Foetus leicht häufiger als Grund angegeben werden. Waren 2016 noch 34% der Gründe somatische Ursachen beim Foetus, wurden diese in den Jahren 2019 und 2020 bei 43% der Meldungen als Gründe für einen Abbruch nach der 12. Woche genannt. 2016 waren noch 51% der Gründe psychosoziale Motive, während diese 2020 noch 37% der Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch nach der 12 Woche ausmachten Pro Meldung ist die Angabe von mehreren Gründen möglich. .
Psychiatrische Gründe für den Abbruch nach der 12. Schwangerschaftswoche wurden 2020 in 9% der Fälle genannt, während diese in den Jahren zwischen 2016 und 2019 bei 2% lagen. Hier gab es im Jahr 2020 im Vergleich zu den Vorjahren eine deutliche Zunahme der Schwangerschaftsabbrüche bei denen psychiatrische Beweggründe angegeben wurden.
Finanzielle Gründe waren 2020 nach der 12. Schwangerschaftswoche selten (2%). Diese haben im Vergleich zu 2019 leicht abgenommen (3,5%).
Schwangerschaftsabbruchraten nach Staatsangehörigkeit
In 13 Kantonen Die 13 Kantone, welche die Staatsangehörigkeit der Frau erheben und an das BFS übermitteln sind BE, LU, UR, SZ, OW, FR, BS, BL, AG, TG, TI, VD und JU. , in welchen die Staatsangehörigkeit erhoben wird, zeigt sich, dass in der Schweiz wohnhafte Ausländerinnen höhere Abbruchraten als Schweizerinnen haben. In diesen Kantonen lag 2020 die Abbruchrate bei 5,4 pro 1000 Frauen mit Schweizer Staatsbürgerschaft und bei 8,7 pro 1000 Frauen mit ausländischer Staatsbürgerschaft Dies betrifft Frauen im Alter zwischen 15 und 44 Jahren mit Wohnsitz in der Schweiz. . Die relativen Unterschiede in den Abbruchraten zwischen Schweizerinnen und Ausländerinnen haben sich seit 2011 stark reduziert. 2011 waren die Abbruchraten bei Ausländerinnen 2,3 Mal höher als bei Frauen mit Schweizer Staatsbürgerschaft. 2020 waren diese nur noch knapp 1,5 Mal höher als die Raten bei Schweizerinnen.
Schwangerschaftsabbruchraten nach Kanton
Betrachtet man die Raten der Schwangerschaftsabbrüche nach Wohnkanton, zeigen sich regionale Unterschiede (vgl. Grafik G5). Während die Schweiz in den Jahren 2015–2019 im Durchschnitt 6,3 Schwangerschaftsabbrüche pro 1000 Frauen mit Wohnsitz in der Schweiz verzeichnet, waren die Raten in diesen Jahren in den Kantonen Genf (11,5), Waadt (8,3), Neuenburg (8,2) und Zürich (7,2) am höchsten. Die tiefsten Schwangerschaftsabbruchraten sind in den Wohnkantonen Obwalden, Nidwalden, Schwyz, Appenzell Innerrhoden, sowie Uri zu finden und lagen zwischen 3,8 und 2,8 Abbrüchen pro 1000 Frauen.
2020 sind in den Wohnkantonen, in denen die Schwangerschaftsabbruchraten über dem Schweizer Durchschnitt liegen, wie in Genf (10,9), Waadt (9,1), Neuenburg (7,4) und im Kanton Zürich (7,4) die Abbruchraten 2020 im Vergleich zu den Vorjahren relativ konstant geblieben. In drei Kantonen mit mittleren Raten in der Periode 2015–2019, Basel-Stadt (6,9), Basel-Landschaft (5,6) und Schaffhausen (6,4), sind die Raten 2020 am stärksten angestiegen. Sie lagen 2020 in Basel-Stadt bei 9,1, in Basel-Landschaft bei 7,2 und in Schaffhausen bei 8,0 pro 1000 Frauen.

Schlussfolgerung
Die Schwangerschaftsabbruchrate ist im Zeitraum 2017–2020 von 6,2 auf 6,8 pro 1000 Frauen kontinuierlich angestiegen. Die erhobenen Daten weisen darauf hin, dass die Raten der Schwangerschaftsabbrüche nach Wohnregionen, aber auch aufgrund anderer Faktoren variieren. Der relative Unterschied der Schwangerschaftsabbruchraten zwischen Frauen mit Schweizer- und ausländischer Staatsbürgerschaft hat sich seit 2010 kontinuierlich verringert. Auch die Schwangerschaftsabbruchraten bei Frauen zwischen 15 und 19 Jahren sind zurückgegangen, während der Anteil der Frauen über 30 Jahren zunahm. Im Jahr 2020 wurden mehr als die Hälfte (53%) der Schwangerschaftsabbrüche bei Frauen über 30 Jahren durchgeführt. Die Anteile der medikamentösen Schwangerschaftsabbrüche haben in den letzten Jahren zugenommen und lagen 2020 bei 80% der Abbrüche. Die Mehrheit die Schwangerschaftsabbrüche finden vor der 12. Schwangerschaftswoche statt. Der Anteil der Abbrüche nach der 12. Schwangerschaftswoche blieb über die letzten Jahre stabil. Die Zahlen weisen darauf hin, dass der Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch in der Schweiz auch im Pandemiejahr 2020 erhalten blieb.
Tonia Rihs, BFS
3 Medizinisch unterstützte Fortpflanzung 2020
Im Jahr 2020 liessen sich in der Schweiz 6237 Paare Laut FMedG gilt dies für verheiratete Paare. mit Kinderwunsch im Rahmen der medizinisch unterstützten Fortpflanzung In vitro durchgeführte medizinisch unterstützte Fortpflanzung. mit In-vitro-Fertilisation (IVF) Zur In-vitro-Fertilisation (IVF) wird sowohl die sogenannt konventionelle In-vitro-Fertilisation als auch die Methode der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) gezählt (Zegers-Hochschild, 2017). behandeln. In Folge der Behandlungen im Jahr 2020 kamen 2207 lebendgeborene Kinder zur Welt. Das sind ca 2,5% der Lebendgeborenen in der Schweiz. Die Zahl der Mehrlingsgeburten nach medizinisch unterstützter Fortpflanzung mit IVF-Verfahren ist seit 2017 deutlich zurückgegangen.
Bei vielen Personen erfolgt der Entscheid zur Behandlung mit Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung nach einer längeren, meist mehrjährigen Phase des Versuchs eine Schwangerschaft ohne medizinische Hilfe zu erreichen. Dabei nimmt die Zeit zum Erreichen einer Schwangerschaft mit zunehmendem Alter der Frau, aber auch des Mannes zu. Diese Zeiten sind für einige Paare oft mit psychischen Belastungen verbunden. Psychische Belastung und Stress können wiederum zu einer Reduktion der Fertilität führen (Stanhiser, 2018). In einer Schwangerschaft wird das Risiko einer Fehlgeburt oder Totgeburt zwischen 11% bis 30% bemessen, wobei das Risiko einer Fehlgeburt mit steigendem Alter der Frau, aber auch des Mannes zunimmt (Schmidt, 2012; du Fosse, 2020). So haben die meisten Personen bei Eintritt in eine IVF-Behandlung oft schon mehrere Rückschläge, bisweilen auch Fehlgeburten oder Totgeburten erlebt.
In der Schweiz, aber auch in den Nachbarländern, beginnt die Familienplanung oft nach dem 30. Lebensjahr. In der Schweiz lag 2010 das Durchschnittsalter der Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes bei 30,0 Jahren und stieg im Jahr 2020 auf 31,1 Jahre. Das Durchschnittsalter der Männer lag im Jahr 2020 bei der Geburt Hier werden alle geborenen Kinder gezählt, unabhängig von der Position in der Geburtenfolge (Erstgeborene, Zweitgeborene, Drittgeborene, usw.). ihres Kindes bei 35,1 Jahren, das der Frauen bei 32,2 Jahren. Mit zunehmendem Alter der Frau sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft (durch die Reduktion der Zahl und Qualität der verfügbaren Eizellen). Ab einem Alter von 32 Jahren beobachtet man eine graduelle Reduktion der Fertilität der Frau, welche sich ab dem Alter von 37 Jahren nochmals beschleunigt (Schmidt, 2012). Auch bei Männern ist höheres Alter (> 43Jahre) bei der Schwangerschaft der Partnerin mit mehr Komplikationen, sowie Fehlgeburten assoziiert (Schmidt, 2012). So kann die später eintretende Familienplanung in vielen Paaren zu einer Unfruchtbarkeit oder einer reduzierten Fruchtbarkeit (Subfertilität) führen (Schmidt, 2012).
Auch eine IVF wird von den Paaren leicht später begonnen als noch vor zehn Jahren. Im Jahr 2020 lag das Durchschnittsalter der Frauen in IVF-Behandlung in der Schweiz bei 36,6 Jahren, im Vergleich zu 36,2 Jahren im Jahr 2010. Das Durchschnittsalter der Männer bei IVF-Verfahren lag 2020 bei 39,6 Jahren und blieb in den letzten Jahren fast unverändert.
Seit 2010 hat der Anteil der Frauen zwischen 35 und 44 Jah-
ren in IVF-Behandlung leicht
zugenommen, während sich in den Altersklassen unter 30 Jahren 2020 im Vergleich zu 2010 ein
leichter Rückgang der IVF-Behandlungen zeigt (vgl. Grafik G6).

Betrachtet man die Gründe für eine Behandlung mit In-vitro-Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung zeigt sich, dass der häufigste Grund der Inanspruchnahme einer IVF-Behandlung die männliche Sterilität ist. In 35% der Fälle im Jahr 2020 wird eine IVF-Behandlung wegen männlicher Sterilität begonnen. In 27% der Fälle aufgrund weiblicher Sterilität und in 13% der Fälle bei Sterilität beider Partner. In 11% der Fälle konnte bei keinem der Partner eine medizinische Ursache für die Sterilität gefunden werden. Die Vermeidung der Übertragung einer schwerwiegenden genetischen Erkrankung ist nur bei 1% der Fälle mit Erstbehandlung im Jahr 2020 der Grund für die IVF.
Aufgrund der verfügbaren Zahlen kann dargestellt werden, wieviele Schwangerschaften und Lebendgeburten nach medizinisch unterstützter Fortpflanzung in einem bestimmten Jahr erfolgten. Hier zeigt sich, dass verglichen mit 2010 die Zahl der Lebendgeborenen im Verhältnis zur Anzahl Frauen in IVF-Behandlung im Kalenderjahr von 31% im Jahr 2010 auf 35% im Jahr 2020 angestiegen ist (vgl. Grafik G7).
Im Jahr 2020 führten die In-vitro-Behandlungen in 47% zu einer Schwangerschaft, während die Behandlungen im Jahr 2010 nur bei 36% zu einer Schwangerschaft führten. In den nach IVF-Behandlungen des Jahres 2020 entstandenen Schwangerschaften kam es in 72,6% zu einer Geburt. Bei 24,2% der Schwangerschaften kam es zu Spontanaborten, bei 1,3% zu einer extrauterinen Schwangerschaft und bei 1,3% zu einem medizinischen Schwangerschaftsabbruch. In 0,7% der Schwangerschaften war der Ausgang der Schwangerschaft nicht bekannt. Im Jahr 2010 kam es in 75,2% der Schwangerschaften zu einer Geburt. Spontanaborte kamen 2010 in 20,5% der Schwangerschaften vor, extrauterine Schwangerschaften in 2,5% und medizinische Schwangerschaftsabbrüche in 0,3% der Schwangerschaften. Der Ausgang der Schwangerschaften war 2010 in 1,4% nicht bekannt.

Im Jahr 2020 gab es 0,4% Totgeburten (9 Fälle) und 0,1% Neugeborene (2 Fälle) starben innerhalb ihrer ersten Lebenswoche. Die perinatale Sterblichkeit (Total der Totgeburten und der in den ersten 7 Tagen verstorbenen Neugeborenen) lag nach IVF-Behandlungen des Jahres 2020 bei 4,9 pro 1000 Geburten. Sie ist somit nicht höher als die perinatale Sterblichkeit in der Gesamtbevölkerung im Jahr 2020 (bei 6,4 pro 1000 Geburten). Hier sollte beachtet werden, dass die psychische Belastung nach einer nicht erfolgreichen IVF, sowie nach Fehlgeburten und Totgeburten für die Betroffenen beträchtlich sein kann (Stanhiser, 2018).
Die grösste Änderung in den letzten Jahren ist die nach Revision des FMedG im Jahr 2017 erfolgte Anpassung der medizinischen Praxis. So wird vermehrt nur ein Embryo pro Transfer in den Uterus eingesetzt, während es vor dem Jahr 2017 häufiger vorkam, dass pro Transfer mehrere Embryos in die Gebärmutter eingesetzt wurden. Diese Änderung führte zu einer markanten Reduktion der Mehrlingsschwangerschaften. Wurden nach Behandlungen im Jahr 2016 noch in 16% der Fälle Mehrlinge geboren, sank dieser Anteil im Jahr 2020 auf 4% der Geburten.
Schlussfolgerung
Zusammenfassend ist zu sagen, dass nach IVF im Jahr 2020 mehr lebendgeborene Kinder zur Welt kamen als vor zehn Jahren, auch wenn die Zahl der Frauen in IVF-Behandlung abnahm. Seit 2017 kommen etwa 2190 lebende Kinder pro Jahr dank einer IVF zur Welt. Das sind ca. 2,5% der Lebendgeborenen in der Schweiz.
Tonia Rihs, BFS
Ehe für Alle
Seit 2022 wird mit Inkrafttreten des Gesetzes «Ehe für Alle» der Zugang zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung mit Hilfe einer Samenspende für weibliche gleichgeschlechtliche Paare https://www.ejpd.admin.ch/ehe-fuer-alle in der Schweiz ermöglicht. Ein Zugang zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung ist aber weiterhin nur für verheiratete Paare möglich und steht daher Alleinstehenden nicht zur Verfügung (FMedG). Die Konservierung der Eizellen, welche auch als «social freezing» bezeichnet wird, ist in der Schweiz erlaubt. Hier werden meist nach hormoneller Stimulation Eizellen entnommen und in speziellen Verfahren eingefroren. Diese Eizellen können bis zu zehn Jahre konserviert werden und zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen einer IVF von derselben Frau verwendet werden. Im Gegensatz zur Samenspende ist die Eizellenspende in der Schweiz verboten (FMedG).
Literatur und Webseiten
BAG: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/zahlen-und-statistiken/zahlen-fakten-zu-fortpflanzungsmedizin/medizinische-praxis-im-bereich-fortpflanzung.html ; Stand am 10.03.2021
BFS (2021): Medizinisch unterstützte Fortpflanzung im Jahr 2019 . Neuchâtel
du Fosse, NA, van der Hoorn MP, van Lith JMM, et al. 2020, Advanced paternal age is associated with an increased risk of spontaneous miscarriage: a systematic review and meta-analysis, Human Reproduction Update, vol. 26, no. 5, pp. 650–669
FIVNAT-CH Register: http://www.fivnat-registry.ch/ , Stand am 10.03.2021
Schmidt L, Sobotka T, Bentzen JG, Nyboe Andersen A: ESHRE Reproduction and Society Task Force. Demographic and medical consequences of the postponement of parenthood. Hum Reprod Update. 2012 Jan–Feb;18(1):29-43. doi: 10.1093/humupd/dmr040. Epub 2011 Oct 11. PMID: 21989171
Stanhiser J, Steiner AZ: Psychosocial Aspects of Fertility and Assisted Reproductive Technology. Obstet Gynecol Clin North Am. 2018 Sep;45(3):563-574. doi: 10.1016/j.ogc.2018.04.006. PMID: 30092929
Steiner AZ, Jukic AM 2016, Impact of female age and nulligravidity on fecundity in an older reproductive age cohort, Fertility and Sterility, vol. 105, no. 6, pp. 1584–1588.
Zegers-Hochschild F, Adamson GD, Dyer S, Racowsky C, de Mouzon J, Sokol R, Rienzi L, Sunde A, Schmidt L, Cooke ID, Simpson JL, van der Poel S. The International Glossary on Infertility and Fertility Care, 2017. Hum Reprod. 2017 Sep 1;32(9):1786-1801. doi: 10.1093/humrep/dex234. PMID: 29117321; PMCID: PMC5850297
4 Entwicklung der Geburtenzahl seit Beginn der Pandemie
In vielen Ländern ist die Zahl der jährlich erfassten Geburten rückläufig. In der Schweiz lässt sich erst seit 2019 eine Abnahme beobachten. Wie hat sich die Geburtenzahl seit Beginn der Covid-19-Pandemie entwickelt? In diesem Artikel wird auf der Grundlage der verfügbaren monatlichen Daten für 2021 die Situation in der Schweiz mit jener in Spanien, Frankreich und Italien verglichen.

Diese Analyse hat zum Ziel, die Entwicklung der Geburtenzahl Ende 2020 und in den ersten Monaten 2021 in der Schweiz sowie in Spanien, Frankreich und Italien zu untersuchen. In diesen Ländern ist die Zahl der Neugeborenen weiterhin rückläufig. In der Schweiz lässt sich das zweite Jahr in Folge ebenfalls eine Abnahme der Geburten beobachten (2020: –0,3%; 2019: –1,9%). Wäre dieser Rückgang auch ohne Pandemie verzeichnet worden? Dies ist wahrscheinlich, wobei die Pandemie in einigen Ländern den Geburtenrückgang zunächst beschleunigt zu haben scheint. Die monatlichen Daten für das Jahr 2021, die je nach Land geschätzt oder provisorisch sind, geben Aufschluss über die Entwicklung der Geburtenzahl seit Beginn der Pandemie.
Wie sieht es in der Schweiz aus?
Das BFS veröffentlicht jeden Monat die provisorischen Ergebnisse zu verschiedenen demografischen Ereignissen des Jahres (hier: 2021), darunter jene zu den Lebendgeburten. Diese Zahlen entsprechen dem Stand der Datenbank zu einem bestimmten Zeitpunkt im Monat. Später erfasste Fälle werden nicht rückwirkend zu den bereits veröffentlichten monatlichen provisorischen Ergebnissen hinzugezählt.
Im Gegensatz zu den anderen betrachteten Ländern ist es in der Schweiz im Dezember 2020 zu einem Geburtenanstieg gekommen. Die Geburtenzahl (6875) lag sogar über jener des gleichen Monats der Jahre 2019 (6803) und 2018 (6791). Im Januar 2021 verzeichnete die Schweiz 3,5% weniger Lebendgeburten als im Januar 2020. Dieser Rückgang ist aufgrund des provisorischen Charakters der Zahlen noch vorsichtig zu bewerten. Er fiel in der Schweiz zudem deutlich geringer aus als in den anderen Vergleichsländern (Spanien: –21%; Italien und Frankreich: –13%).
Gemäss der Saisonalität der Geburten werden im Februar im Allgemeinen am wenigsten Geburten verzeichnet Darüber hinaus ist der Monat Februar der kürzeste Monat des Jahres. . 2021 bildet dabei keine Ausnahme: In diesem Monat war die provisorische Zahl der Geburten in der Schweiz am tiefsten (6399). Im März 2021 gab es mehr Geburten, wobei ihre Zahl unter dem Vorjahreswert lag. Dieser Wiederanstieg der Zahl der Neugeborenen im März lässt sich generell auch in den Vorjahren und in den Vergleichsländern beobachten.
Im April war die Zahl der Geburten erneut rückläufig, ab Mai stieg sie aber wieder an, wobei sich die Zunahme bis in die Monate Juli, August und September verstärkte. In diesen Monaten werden in der Schweiz normalerweise am meisten Geburten gezählt. Im September 2021 entsprach die Zahl nahezu jener von September 2020 (Differenz: 17), was auf einen Aufholeffekt hindeuten kann. Die definitiven monatlichen Zahlen für 2021, die das BFS im Juni 2022 veröffentlicht, werden zeigen, ob dieser Effekt vorübergehend ist oder nicht (vgl. Grafik G8).
Und anderswo?
Neun bis zehn Monate nach Beginn der Pandemie wiesen Spanien, Frankreich und Italien ähnliche Entwicklungen bei den Geburten auf (vgl. Grafiken G9, G10 und G11). Im Dezember 2020 ging die Zahl der Neugeborenen im Vergleich zum Dezember 2019 zurück: –21,3% in Spanien, –10,3% in Italien und –7,2% in Frankreich. Im Januar und Februar 2021 verzeichneten diese drei Länder ebenfalls einen starken Rückgang, insbesondere Spanien, was bedeutet, dass im April und Mai 2020, also während des ersten Lockdowns, weniger Kinder gezeugt wurden. Ab März 2021 lässt sich in Spanien und Frankreich ein Wiederanstieg der Geburtenzahl beobachten. In Italien hingegen blieben die Werte von 2021 trotz einer hohen Geburtenzahl im März unter jenen von 2020. Die im März 2021 in Italien beobachtete Entwicklung ist vergleichbar mit jener in der Schweiz.
Mit Ausnahme von Mai und Juni überstieg die Zahl der Geburten in Spanien ab März 2021 jene der entsprechenden Vorjahresmonate. In Frankreich ist eine ähnliche Entwicklung mit mehr Geburten im März, April, Juli und September 2021 gegenüber den Vorjahresmonaten zu beobachten. Die im November 2021 erschienene Studie https://www.insee.fr/fr/statistiques/5760033?sommaire=5348638 des nationalen Instituts für Statistik und Wirtschaftsforschung (Institut national de la statistique et des études économiques, Insee) hält Folgendes fest Übersetzung BFS : «Im März nahmen die Geburten weiter zu und überstiegen geringfügig jene vom März 2020 (+1,1%). Im April (+4,8%) verstärkte sich die Zunahme, bevor ein schwacher Rückgang verzeichnet wurde (–1,6% im Mai und –1,8% im Juni 2021 gegenüber den Vorjahresmonaten). Im Juli entsprachen die Geburten dem Niveau von 2020 und im August verstärkte sich die Zunahme [...], nämlich 3% mehr als im August und September 2020. Die im August und September 2021 geborenen Säuglinge wurden grösstenteils im November und Dezember 2020 während des zweiten Lockdowns gezeugt. Im Gegensatz zum ersten Lockdown gab es also neun Monate nach dem zweiten Lockdown keinen Rückgang der Geburten».
Diese Zahlen sind jedoch mit Vorsicht zu interpretieren, da sie für das Jahr 2021 den aktuellen Stand der provisorischen oder geschätzten Daten widerspiegeln. Die skizzierten Tendenzen können also erst nach der Publikation der definitiven monatlichen Ergebnisse der verschiedenen Länder bestätigt oder widerlegt werden.



Einige Zahlen
Spanien: Gemäss den Daten der experimentellen Statistik Monthly births, accumulated and year-on-year variation of the accumulate. National total and Autonomous Communities(46678) (ine.es ) des nationalen Instituts für Statistik (INE) gingen die Geburten in den ersten neun Monaten von 2021 um 2,9% gegenüber der Vorjahresperiode und um 6,2% gegenüber 2019 zurück. Das INE stellt fest, dass die Zahl der Geburten drastisch abgenommen hat: im Januar 2021 um 21% gegenüber dem entsprechenden Vorjahresmonat und im Februar 2021 um 9% gegenüber dem entsprechenden Vorjahresmonat. Von Januar bis September 2021 wurden knapp 7500 Geburten weniger verzeichnet als in der Vorjahresperiode und 16 500 Geburten weniger als 2019.
Frankreich: Gemäss den provisorischen Schätzungen Série 000436391 Démographie – Nombre de naissances vivantes – France métropolitaine | Insee des nationalen Instituts für Statistik und Wirtschaftsforschung (Insee) gingen die Geburten 2021 in den ersten neun Monaten gegenüber der entsprechenden Vorjahresperiode um 1,3% und gegenüber der entsprechenden Periode 2019 um 2,9% zurück. Zu Beginn des Jahres nahm die Zahl der Geburten drastisch ab: im Januar 2021 um 13% gegenüber Januar 2020 und im Februar 2021 um 8% gegenüber Februar 2020. Von Januar bis September 2021 wurden knapp 7100 Geburten weniger verzeichnet als im gleichen Zeitraum 2020 und 15 700 Geburten weniger als 2019.
Italien: Gemäss den provisorischen Daten der monatlichen demografischen Bilanz Statistiche demografiche ISTAT des nationalen Instituts für Statistik (ISTAT) gingen die Geburten 2021 in den ersten acht Monaten gegenüber der entsprechenden Vorjahresperiode um 4,4% und gegenüber 2019 um 6,8% zurück. Zu Beginn des Jahres nahm die Zahl der Geburten drastisch ab: im Januar 2021 um 13% gegenüber dem entsprechenden Vorjahresmonat und im Februar 2021 um 7% gegenüber dem entsprechenden Vorjahresmonat. Von Januar bis August 2021 wurden knapp 11 700 Geburten weniger verzeichnet als im gleichen Zeitraum 2020 und 18 500 Geburten weniger als 2019.
Fazit
Aus Sicht der Saisonalität zeigen die monatlichen Daten der Schweiz für 2022, dass die Zahl der Geburten analog zu den Vorjahren verlief: generell wenige Geburten im Januar und Februar und mehr Geburten ab April bis Juli. Der erste Lockdown scheint in der Schweiz nicht die gleichen Auswirkungen auf die Entwicklung der Geburtenzahl gehabt zu haben wie in den Ländern mit strengeren Massnahmen.
Der in der Schweiz ab April 2021 beobachtete Aufwärtstrend lässt sich auch in den Vergleichsländern erkennen. In Spanien und Frankreich überstiegen 2021 die Werte bestimmter Monate – unter anderem August und September – bereits jene von 2020. Doch die kumulierten Werte von Januar bis August/September 2021 lagen immer noch unter jenen von 2020, was teilweise auf den provisorischen Charakter der Daten zurückzuführen ist. Ob sich der Aufholeffekt, der sich im Jahr 2021 abzeichnet, bestätigen wird oder nicht, wird sich erst nach der Publikation der definitiven monatlichen Zahlen der verschiedenen Länder zeigen.
Fabienne Rausa, BFS
Weiterführende Informationen
Am 5. April 2021 hat das BFS die provisorischen Jahresergebnisse der Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung (BEVNAT) veröffentlicht. Die Zahlen schienen den Aufwärtstrend bei der Anzahl Lebendgeburten zu bestätigen. Die definitiven Zahlen werden am 23. Juni 2022 veröffentlicht und liefern weitere Einzelheiten: https://www.bfs.admin.ch/news/de/2022-0464
Das nationale Institut für Statistik und Wirtschaftsforschung (Institut National de la Statistique et des Etudes Economiques, Insee) erhebt, erstellt und verbreitet Informationen zu den Lebendgeburten in Frankreich. Unter anderem analysiert es die Auswirkungen der Pandemie auf die Entwicklung der Geburten: Nombre de naissances en 2021 − Les naissances en 2021 | Insee
Das Vienna Institute of Demography analysiert ebenfalls die kurz- und langfristigen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Anzahl Geburten und die Fertilitätsraten: Aktuelles aus der Forschung: COVID-19 (oeaw.ac.at)