3.1 Frauenstimmrecht in den Kantonen
Die Einführung des Frauenstimmrechts ist eines der langfristigeren politischen Projekte der Schweiz. Ebenfalls ist es ein Thema, das vielfach und in unterschiedlichster Form diskutiert und zur Abstimmung gelangte (siehe Grafik 1). Nur schon auf kantonaler Ebene wurde das Frauenstimmrecht in kantonalen Angelegenheiten 29-fach abgelehnt, hinzu kommen die 25 erfolgreichen Abstimmungen (mit Ausnahme des Kantons Appenzell Innerrhoden, wo das Frauenstimmrecht per Bundesgerichtsbeschluss eingeführt wurde). Von der ersten gescheiterten kantonalen Abstimmung bis zur vollständigen Umsetzung dauerte die Einführung des Frauenstimmrechts auf kantonaler Ebene 72 Jahre (vgl. dazu Tabelle 1). Während ein Grossteil der Männer bereits 1848 das Stimm- und Wahlrecht erlangte, waren Frauen erst 1991 vollständig einbezogen, was einer Verzögerung von 143 Jahren entspricht (Voegeli 2019).
In Grafik 1 sind die mehr als 50 Abstimmungen dargestellt, um einen Überblick zu den kantonalen Vorstössen zu ermöglichen (Seitz 2020). Bei der Einführung des Frauenstimmrechts in den Kantonen waren insbesondere Westschweizer Kantone wie Neuenburg, Genf und die Waadt Vorreiter, hinzu kommen Basel-Stadt und Zürich in der Deutschschweiz. In den drei Kantonen Genf, Basel-Stadt und Zürich gab es jeweils vier gescheiterte Abstimmungen zur Einführung des Frauenstimmrechts, bevor sich schliesslich eine Mehrheit fand. Die Inner- und Ostschweiz war eher spät mit an Bord, auch wenn die Kantone Glarus und St. Gallen die erste Abstimmung bereits 1921 abhielten (gefolgt von einer 50-jährigen Pause).

Nicht aufgeführt in der Grafik sind die zahlreichen Bestrebungen, das Frauenstimmrecht in anderen Angelegenheiten einzuführen, beispielsweise auf Gemeindeebene oder in Kirch-, Schul- und Armutsfragen (siehe EKF 2001 für eine ausführliche Liste). Der erste geglückte Versuch einer fakultativen Einführung in Bürgergemeindefragen gelang dem Kanton Basel-Stadt im Jahr 1957, ein Jahr später haben die Bürgergemeinden Riehen und Basel-Stadt das Frauenstimmrecht schliesslich eingeführt. Allerdings gab es auch Fälle, wo die Gemeinden erst später nachgezogen haben: Die Kantone Obwalden, Solothurn und Graubünden haben bei der Einführung des kantonalen Stimm- und Wahlrechts den Gemeinden weiterhin freigestellt, selbst über das Stimmrecht zu bestimmen. In Obwalden waren die Frauen erst ab 1981 in allen Gemeinden stimmberechtigt, als die letzte Gemeinde das Frauenstimmrecht einführte. In Solothurn (1982) und Graubünden (1983) entschied schliesslich der Kanton, dass auch die Gemeinden das Frauenstimmrecht einzuführen haben (EKF 2001).
3.2 Die Abstimmungsergebnisse 1959 und 1971 im Überblick
3.2.1 Abstimmung 1959
Bundesbeschluss über die Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts in eidgenössischen Angelegenheiten (1959)
Datum: 01.02.1959
Art: Oblig. Referendum
Abgegebene Stimmen: 987 843 (66,7%)
Ja-Stimmen: 323 727 (33,1%)
Nein-Stimmen: 654 939 (66,9%)
Stände Ja: 3 (VD, NE, GE)
Stände Nein: 16 6/2
Auf Bundesebene hat die Schweiz am 1. Februar 1959 zum ersten Mal über das Frauenstimmrecht abgestimmt. Das obligatorische Referendum wurde mit 33,1 Prozent Ja-Stimmen und 16 6/2 ablehnenden Ständen deutlich verworfen. Nur die Kantone Genf, Neuenburg und Waadt haben die Vorlage unterstützt. Die Stimmbeteiligung lag bei 66,7 Prozent – vor der Einführung des Frauenstimmrechts war das eine eher höhere Partizipationsrate, seit der Einführung des Frauenstimmrechts im Jahr 1971 gab es nur noch vier weitere Abstimmungen mit einer höheren Stimmbeteiligung.
Dabei hat diese Abstimmung lange auf sich warten lassen (für eine ausführlichere Beschreibung, siehe Rielle 2010a): Unter anderem hat der Bundesrat das Thema rund 40 Jahre ignoriert. Bereits in den Jahren 1913 und 1918 nämlich überwies der Nationalrat Motionen an den Bundesrat, die die Einführung des Frauenstimmrechts forderten. Auch spätere Forderungen nach einem Bericht zu den hängigen Motionen bewegten den Bundesrat nicht zu einer Reaktion. Erst 1951 wurde ein Bericht vorgelegt, bei dem sich der Bundesrat gegen die Einführung stellte, weil die Kantone und Gemeinden diese Veränderung vorzuspuren hätten. Wenige Jahre später, im Rahmen der Abstimmung über die Zivilschutzvorlage, bewegte der Protest gegen das Obligatorium für Frauen schliesslich den Bundesrat aus taktischen Gründen eine Botschaft für die Einführung des Frauenstimmrechts in eidgenössischen Angelegenheiten vorzulegen. National- und Ständerat folgten, wenn auch nicht aus Überzeugung, sondern um das Thema bei einer Ablehnung von der politischen Agenda zu streichen. Im Vorfeld der Abstimmung hatten sich die SP sowie der Landesring der Unabhängigen für die Vorlage ausgesprochen, während CVP und FDP keine Position bezogen haben. Die SVP (damals noch BGB) sprach sich gegen die Vorlage aus (Rielle 2010a).
Die Abstimmungskarte Die Gemeinden sind auf dem heutigen harmonisierten Stand dargestellt, d. h. Fusionen und andere Anpassungen nachvollzogen, um die Relation zur heutigen Zeit zu vereinfachen. auf Gemeindeebene zeigt, dass die Frauenstimmrechtsbefürworterinnen und -befürworter im Jahr 1959 nicht auf viel Unterstützung setzen konnten. In der Deutschschweiz hat praktisch keine Gemeinde zugestimmt. Ausnahmen sind wenige Berner Gemeinden (beispielsweise Muri mit 50,8% Ja) oder Unterbäch im Wallis mit genau 50% Zustimmung. Auch grosse Städte wie Bern (48,9% Ja), Basel (46,6% Ja), Zürich (42,4% Ja), Luzern (34,7% Ja) oder St. Gallen (30,1% Ja) hatten keine Mehrheit für ein Frauenstimmrecht. In der Romandie und dem italienischsprachigen Teil der Schweiz haben jeweils einige Gemeinden für die Einführung des Frauenstimmrechts gestimmt. In der Romandie haben dabei die grösseren Städte Lausanne (64,4% Ja), Genf (62,3% Ja), Neuenburg (56,1% Ja) und Fribourg (53,4% Ja) allesamt zugestimmt, an der Sprachengrenze auch Biel (51,7% Ja). In den Kantonen Genf, Neuenburg und Waadt haben die Städte so auch die Mehrheiten im Kanton in ein Ja gekippt. Anders im Tessin, wo Lugano (37,9% Ja), Bellinzona (32,2% Ja) und Locarno (40,1% Ja) gegen die Vorlage waren. In der Rumantschia war schliesslich die Ablehnung dominant, trotzdem fand sich eine Mehrheit im Val Müstair für die Einführung.
Insgesamt zeigt sich für die Abstimmung des Jahres 1959 eine eher aussichtslose Situation für das Frauenstimmrecht: drei von vier Sprachregionen lehnen die Einführung des Frauenstimmrechts ab und vom Ständemehr, nötig für die Verfassungsänderung, ist das Anliegen sehr weit entfernt. Auch fehlt die Unterstützung in den Städten der deutsch- und italienischsprachigen Schweiz, die häufig für progressive Mehrheiten nötig sind (vgl. Grafik 6).


3.2.2 Abstimmung 1971
Bundesbeschluss über die Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts in eidgenössischen Angelegenheiten (1971)
Datum: 07.02.1971
Art: Oblig. Referendum
Abgegebene Stimmen: 955 321 (57,7%)
Ja-Stimmen: 621 109 (65,7%)
Nein-Stimmen: 323 882 (34,3%)
Stände Ja: 14 3/2
Stände Nein: 5 3/2 (UR, SZ, OW, GL, AR, AI,
SG, TG)
Zwölf Jahre später war die Situation eine ganz andere. Bis zur zweiten Abstimmung auf Bundesebene hatten bereits einige Kantone das Frauenstimmrecht in kantonalen und kommunalen Fragen eingeführt. Bei der Abstimmung im Jahr 1971 ist somit eine breitere Unterstützung als im Jahr 1959 ersichtlich. Die Romandie hat mit wenigen Ausnahmen zugestimmt, so auch das Tessin und die italienischen Valli in Graubünden. Die rätoromanische Schweiz ist gespalten: das Engadin stimmt zu, während Teile der Surselva und des Oberhalbsteins weiterhin das Frauenstimmrecht ablehnten. Die deutschsprachigen Städte haben ebenfalls ins Ja-Lager gewechselt, während die Ost- und Innerschweiz, das Berner Oberland und ein grosser Teil des Kantons Aargau weiterhin dem Anliegen ablehnend gegenüberstanden.
Die Abstimmungskarte widerspiegelt auch die Situation in den Kantonen: bis 1971 hatten die Kantone Waadt, Neuenburg, Genf, die beiden Basel, das Tessin, Zürich, Wallis und Luzern bereits das kantonale und kommunale Frauenstimmrecht eingeführt.
Von den grossen Städten stand Genf am geschlossensten hinter der Vorlage (91,5% Ja) gefolgt von Lausanne (88,3% Ja). Basel (82,1% Ja) war die Deutschschweizer Stadt mit der höchsten Zustimmung, auch St. Gallen (59,2% Ja) und Luzern (72,8% Ja) verdoppelten etwa den Ja-Anteil im Vergleich zu 1959. In der italienischsprachigen Schweiz unterstützte Lugano das Anliegen mit 76,9% Ja, Bellinzona mit 72,6% Ja.
Für die Vorlage hatten sich alle nationalen Parteien ausgesprochen, auch die meisten Verbände (Rielle 2010b). Insgesamt haben 65,7 Prozent der Schweizer stimmberechtigten Männer der Einführung des Frauenstimmrechts auf eidgenössischer Ebene zugestimmt. Die Kantone Uri, Schwyz, Obwalden, Glarus, die beiden Appenzell, St. Gallen und Thurgau haben die zweite Abstimmung zum Frauenstimmrecht auf eidgenössischer Ebene wiederum abgelehnt. Somit haben 14 3/2 Stände für die Vorlage gestimmt und das doppelte Mehr ist erreicht. Die Stimmbeteiligung lag bei 57,7 Prozent; eine hohe Beteiligung, die in dieser Zeit nur von den Überfremdungsinitiativen übertroffen wurde. Trotzdem war die Beteiligung im Vergleich zu 1959 rund 10 Prozentpunkte tiefer.
3.2.1 Vergleich der Resultate der zwei Abstimmungen
auf Gemeindeebene
Werden die Resultate der zwei Abstimmungen 1959 und 1971 auf Gemeindeebene gegenübergestellt (Grafik 4), so kann festgestellt werden, dass in fast allen Gemeinden der Ja-Stimmenanteil von der ersten zur zweiten Abstimmung angestiegen ist (die Punkte sind in der linken Diagonale des Feldes). Die französische Schweiz ist Treiberin der Annahme; bereits 1959 war die Unterstützung in der Westschweiz vergleichsweise höher und sie hat im Jahr 1971 fast geschlossen für die Vorlage gestimmt. Die Deutschschweiz ist 1971 weiterhin gespalten (ein guter Teil der Gemeinden ist nach wie vor unter der 50%-Linie und somit ablehnend gegenüber dem Thema), nachdem im Jahr 1959 fast alle deutschsprachigen Gemeinden gegen die Einführung des Frauenstimmrechts stimmten. Die italienischsprachige Schweiz ist weniger unterstützend als die Romandie, aber 1971 klar auf der Seite der Befürworter (nur eine Handvoll der Gemeinden ist in der unteren Hälfte des Feldes). Die rätoromanischsprachigen Gemeinden waren 1959 sehr kritisch, 1971 hat sich etwa die Hälfte der Gemeinden je für und gegen das Frauenstimmrecht ausgesprochen. Das Muster entspricht in etwa dem Bild in der deutschsprachigen Schweiz.
Dass die Zustimmung zum Frauenstimmrecht teils deutlich zugenommen hat, ist insbesondere auch auf kantonaler Ebene zu sehen (Grafik 5). In einigen Kantonen, die 1959 noch sehr kritisch eingestellt waren und die Einführung abgelehnt haben, verdoppelt sich die Zustimmung – am deutlichsten ist die Zunahme wohl im Kanton Appenzell Innerrhoden, wo sich die Zustimmung von nur gerade 4,9% im Jahr 1959 auf immerhin 28,9% Ja-Stimmenanteil im Jahr 1971 fast versechsfacht hat. Der grösste Sprung in der Zustimmung verzeichnet der Kanton Wallis, von 30,5% im Jahr 1959 um fast 50 Prozentpunkte auf 79,9% im Jahr 1971.
Der deutliche Anstieg in allen Kantonen – auch in jenen, die sich 1971 weiterhin der Einführung des Frauenstimmrechts widersetzt haben – zeigt, dass in den 12 Jahren ein deutlicher Wandel stattgefunden hat. Nach vielen Rückschlägen für die Frauenstimmrechtsbewegung ist die Unterstützung deutlich angewachsen bis im Jahr 1971, sodass schliesslich die Mehrheit für eine Einführung des Frauenstimmrechts gegeben war. Allerdings zeigt sich auch: der Kanton Appenzell Innerrhoden, der sich standhaft gegen das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene wehrte, hat sich auch auf eidgenössischer Ebene nie für das Frauenstimmrecht ausgesprochen. Alle anderen Kantone haben zumindest einmal für die Einführung des Frauenstimmrechts votiert.

Unabhängig von den Kantonen und den Sprachregionen zeigt sich weiter in Grafik 6, dass der Siedlungstyp dominant ist für die Zustimmung, sowohl 1959 wie auch 1971. So sind städtische Gebiete (Zentren, Agglomerationen und isolierte Städte) grundsätzlich eher auf der Seite des Frauenstimmrechts gewesen und verzeichnen, mit Ausnahme der italienischsprachigen Schweiz, jeweils höhere Zustimmungswerte als ländliche Gebiete. 1959 haben die französischsprachigen städtischen Gebiete bereits für das Frauenstimmrecht gestimmt, aber noch 1971 lehnen die ländliche Deutschschweiz und die rätoromanischsprachigen Gemeinden das Frauenstimmrecht ab. Für den Vergleich nach Sprachregion und Siedlungstyp ist der ursprüngliche Gemeindestand verwendet worden, der den damaligen Kontext in diesem Fall besser repräsentiert.

