«Zersiedelung», «Gletscherschwund», «Vergandung der Alpen»: Die Veränderung der Landschaft sorgt in den Medien für Schlagzeilen und in der Politik für Gesprächsstoff. Rund ein Fünftel des Schweizer Bodens wird heute anders genutzt als noch vor 30 Jahren. Während sich die Siedlungen und der Wald ausdehnen, verliert die Landwirtschaft stetig an Fläche. Präzise Daten zu diesen, aber auch zu den vielen kleinräumigen und subtilen Veränderungen der Bodennutzung liefert die «Arealstatistik».
Die Landschaften der Schweiz sind – mit Ausnahme des Hochgebirges – in aller Regel Kulturlandschaften: Im Zuge einer jahrtausendelangen Nutzung wurden sie vom Menschen tiefgreifend umgestaltet. Selbst an Orten, an denen uns die Natur scheinbar noch ganz wild und ungezähmt entgegentritt – im Bergwald, in den Naturschutzgebieten – finden die kundige Betrachterin und der kundige Betrachter meist mehr oder weniger deutliche Spuren menschlicher Eingriffe. Die Bodennutzung wandelt sich dabei laufend – und mit ihr auch das Landschaftsbild. Manche Veränderungen sind augenfällig, so zum Beispiel der Bau neuer Wohnsiedlungen oder die plötzliche Verschüttung von Bergwiesen und -wäldern durch einen Felssturz. Andere Entwicklungen vollziehen sich so langsam und subtil, dass sie vom Menschen kaum wahrgenommen werden, wie etwa der allmähliche Anstieg der Baumgrenze.
Verlässliche Informationen zur Bodennutzung in der Schweiz und deren Wandel – im Grossen wie im Kleinen – liefert die «Arealstatistik», deren wichtigste Resultate die vorliegende Publikation zusammenfasst. Basierend auf hochaufgelösten Luftaufnahmen wird sie vom Bundesamt für Statistik alle paar Jahre nach gleicher Methode erstellt, sodass präzise Vergleiche über lange Zeiträume möglich sind (siehe Box).

Die vier Hauptbereiche der Bodennutzung
Die Arealstatistik unterteilt die Flächen der Schweiz ausgehend von ihrer Nutzung in vier Hauptbereiche, die sich ihrerseits wieder in zahlreiche Unterbereiche aufteilen lassen (G1). Die vier Hauptnutzungsarten sind die Siedlungsflächen, die Landwirtschaftsflächen (inklusive Alpwirtschaft), die bestockten Flächen (Wald und Gehölze) sowie die sogenannten unproduktiven Flächen. Letztere werden vom Menschen nur wenig oder gar nicht genutzt, sind aber ökologisch und landschaftlich von grossem Wert. Sie umfassen hauptsächlich die Gewässer sowie die mit ungenutzter Vegetation, Fels, Geröll und Gletschern bedeckten Gebiete in den Bergen.
Die Siedlungsflächen sind mit einem Anteil an der Landesfläche von 8% im Jahr 2018 der kleinste, die Landwirtschaftsflächen mit 35% der grösste Hauptbereich. Die bestockten und die unproduktiven Flächen beanspruchten 2018 rund 32% beziehungsweise 25% des Bodens.

Grosse regionale Unterschiede
Die Anteile der vier Hauptbereiche variieren je nach biogeografischer Region (G2; zum Begriff der biogeografischen Region siehe Box). So beanspruchen die Siedlungsflächen im Mittelland prozentual mehr als doppelt so viel Fläche (17%) wie im Landesdurchschnitt, während sie in den Alpenregionen deutlich seltener vorkommen. Der Anteil der Landwirtschaftsflächen wiederum liegt im Mittelland mit 48% und im Jura mit 42% über dem Landesdurchschnitt, in den westlichen Zentralalpen mit 18% und an der Alpensüdflanke (Tessin und Bündner Südtäler) mit 12% deutlich darunter. Die bestockten Flächen sind an der Alpensüdflanke und im Jura überproportional vertreten, während ihr Anteil in den Zentralalpen deutlich kleiner ist als im landesweiten Mittel. In den zentralen Alpenregionen sind dafür die unproduktiven Flächen mit Anteilen von 41% im Osten und 55% im Westen sehr dominant. Im Mittelland machen die unproduktiven Flächen rund 10% aus (vor allem Seen), im Jura ist ihr Anteil verschwindend klein.
Die biogeografischen Regionen
Die Schweiz verfügt für ein Land ihrer Grösse über eine beträchtliche Vielfalt an unterschiedlichen Natur- und Lebensräumen mit den Alpen als markanter Trennlinie. Entsprechend existieren auch bei der Bodennutzung grosse regionale Unterschiede, die es bei der Interpretation der Arealstatistik-Daten zu berücksichtigen gilt. Hierfür wird in der vorliegenden Publikation meist die Raumtypologie der sogenannten «biogeografischen Regionen» verwendet. Dabei handelt es sich um eine Unterteilung der Schweiz in insgesamt sechs Regionen, die hinsichtlich Flora und Fauna – und damit auch punkto Klima, Topografie und Bodenbeschaffenheit – eine gewisse Einheit bilden (G3).
Regionale Auswertungen der Arealstatistik sind nicht nur nach biogeografischen Regionen, sondern auch nach Kantonen, Gemeinden, Höhenstufen usw. möglich. Solche Analysen werden in der vorliegenden Publikation punktuell ebenfalls präsentiert. Zusätzliche regionale Auswertungen finden sich im Internet unter: www.landuse-stat.admin.ch

Die Unterschiede zwischen den biogeografischen Regionen widerspiegeln nicht zuletzt die dort dominierenden Höhenstufen. Denn bekanntermassen hat die Höhe über Meer vermittels Temperatur und Vegetation einen entscheidenden Einfluss auf die Bodennutzung (G4). So nimmt der Umfang der Landwirtschaftsflächen ab 600 Metern in absoluten Zahlen und ab 800 Metern auch prozentual mit zunehmender Höhenlage ab – mit Ausnahme der Lagen zwischen 1800 und 2400 Metern, wo die Alpweiden und -wiesen den Anteil der Landwirtschaftsflächen vorübergehend leicht ansteigen lassen. Die bestockten Flächen wiederum kommen in den mittleren Höhenlagen zwischen 800 und 1800 Metern auf besonders grosse Flächenanteile. Oberhalb von 2000 Metern endet ihre Verbreitung dann relativ abrupt: Ungefähr dort liegt hierzulande die Waldgrenze, deren genaue Höhe je nach Region und Exposition (Nord- oder Südhang) variiert. Oberhalb von 2000 Metern beginnen die unproduktiven Flächen in Form von nicht genutzter Vegetation, Fels, Geröll und Gletschern zu dominieren. Einen namhaften Anteil an den unproduktiven Flächen weisen aber auch die am tiefsten gelegenen Landesteile auf, und zwar in Form von Seen. In den tiefsten Lagen liegt auch der Verbreitungsschwerpunkt der Siedlungen: 84% der entsprechenden Flächen liegen unterhalb von 800 Metern. In früheren Zeiten war häufig nur hier, wo auch die ertragreichsten Landwirtschaftsflächen liegen, die Lebensmittelversorgung gut und verlässlich genug, damit grössere Dörfer und Städte entstehen konnten. Dazu kommt, dass das Siedlungswachstum der letzten Jahrzehnte in den tiefen Lagen sowohl absolut als auch prozentual besonders ausgeprägt war.


Mehr Siedlungen und Wald –
weniger Landwirtschaftsflächen
Die ältesten vergleichbaren Daten der Arealstatistik stammen aus dem Jahr 1985. Seit damals hat der Anteil der Siedlungsflächen an der Gesamtfläche kontinuierlich zugenommen, und zwar um 1,9 Prozentpunkte auf 7,9% im Jahr 2018 (G5). Ebenfalls kontinuierlich gestiegen, und zwar um insgeamt 1,4 Prozentpunkte, ist im gleichen Zeitraum der Anteil der bestockten Flächen, während jener der Landwirtschaftsflächen um 2,8 Prozentpunkte kleiner geworden ist. Kaum verändert (–0,5 Prozentpunkte) hat sich der Anteil der unproduktiven Flächen.

Ziel und Zweck
Die vom Bundesamt für Statistik (BFS) erstellte Arealstatistik gibt Auskunft über die Nutzung und die Bedeckung des Bodens in der Schweiz und darüber, wie sich diese über die Zeit verändern. Damit bildet sie ein unverzichtbares Instrument der räumlichen Langzeitbeobachtung. Dank der Ergebnisse der Arealstatistik lässt sich insbesondere auch beurteilen, ob und inwieweit die Änderungen bei der Bodennutzung den Zielen der Schweizer Raumentwicklungspolitik und somit auch dem Wunsch nach einem haushälterischen Umgang mit der Ressource Boden entsprechen.
Methode
Die Arealstatistik basiert auf hochaufgelösten Luftbildern, die das ganze Territorium der Schweiz abdecken und die dem BFS vom Bundesamt für Landestopografie zur Verfügung gestellt werden. Den Fotos wird ein Raster mit Stichprobenpunkten im Abstand von je 100 Metern überlagert, sodass sich die Statistik auf insgesamt 4,1 Millionen Stichprobenpunkte stützen kann. Im Rahmen der Interpretationsarbeiten wird sodann für jeden einzelnen Punkt die Bodennutzung und -bedeckung bestimmt. Dabei wird zwischen 72 Grundkategorien unterschieden, die ihrerseits den 4 Hauptbereichen Siedlungsflächen, Landwirtschaftsflächen, bestockte Flächen und unproduktive Flächen zugeteilt werden können. Die Bestimmung der Bodennutzung geschieht per visueller Interpretation am 3D-Bildschirm.

Erhebungsjahre
Mit der Publikation der vorliegenden Resultate steht eine Zeitreihe von insgesamt vier methodisch einheitlichen Erhebungen zur Verfügung. Sie basiert auf Luftbildern der folgenden Jahre:
– 1979–1985 (1. Erhebung, vereinfachte Bezeichnung: 1985)
– 1992–1997 (2. Erhebung, 1997)
– 2004–2009 (3. Erhebung, 2009)
– 2013–2018 (4. Erhebung, 2018)
Die ersten drei Erhebungen wurden in einem Abstand von je rund zwölf Jahren durchgeführt, danach wurde die Periode auf neun Jahre verkürzt. Publiziert werden die Daten gebietsweise, und zwar in der Reihenfolge, in der auch die Luftbilder entstanden (immer beginnend in der Südwestschweiz). Knapp drei Jahre nach Entstehung der letzten Luftbilder sind die Daten für die gesamte Schweiz bereit zur Veröffentlichung.
Neu: Einsatz von künstlicher Intelligenz
Im Rahmen der im Sommer 2021 begonnenen 5. Erhebung werden erstmals selbstlernende Algorithmen («künstliche Intelligenz») für die Bildinterpretation eingesetzt. Der Abstand zwischen den Erhebungen wird künftig auf 6 Jahre verkürzt.
Pro Tag werden 9 Fussballfelder verbaut
Das Ausmass der Nutzungsdynamik wird deutlicher, wenn statt der Anteilsverschiebungen die Entwicklung der einzelnen Flächen betrachtet wird. So haben sich die Siedlungsflächen zwischen 1985 und 2018 um insgesamt 776 km2 bzw. 31% ausgedehnt. Im Durchschnitt wurde somit an jedem Tag dieser 33 Jahre dauernden Periode eine Fläche von der Grösse von 9 Fussballfeldern neu bebaut (wobei auch siedlungsinterne Grünflächen wie Gärten oder Parks berücksichtigt sind) (G6). Das Tempo des Siedlungswachstums hat allerdings mit der Zeit etwas abgenommen: Vergrösserten sich die Siedlungen zwischen 1985 und 1997 noch um täglich 10 Fussballfelder, waren es zwischen 1997 und 2009 noch 9 und zwischen 2009 und 2018 noch 8 Fussballfelder pro Tag.
Die Zunahme der bestockten Flächen betrug zwischen 1985 und 2018 insgesamt 589 km2 (+5%) respektive 7 Fussballfelder pro Tag. Vom ersten zum zweiten Beobachtungsintervall verlangsamte sich die Wiederbewaldung deutlich, danach beschleunigte sie sich wieder. Die Landwirtschaftsflächen verkleinerten sich zwischen 1985 und 2018 um gesamthaft 1143 km2 (–7%) und somit um durchschnittlich 13 Fussballfelder pro Tag. Damit ging in gut drei Jahrzehnten Kulturland von ungefähr der doppelten Fläche des Genfersees verloren. Auch diese Entwicklung verlangsamte sich zunächst, um sich danach wieder zu beschleunigen. Hier, wie auch bei den bestockten Flächen, dürfte die vorübergehende Abschwächung der langfristigen Entwicklungstendenz zum Teil mit Änderungen in der Landwirtschaftspolitik zusammenhängen (siehe Kapitel 3). Die unproduktiven Flächen schliesslich verkleinerten sich zwischen 1985 und 2018 um insgesamt 222 km2 bzw. 2% (knapp 3 Fussballfelder pro Tag).

Im Mittelland neue Siedlungen,
in den Bergen neuer Wald
Das Siedlungswachstum betraf hauptsächlich die tiefer gelegenen Landesteile, allen voran das Mittelland, die Talböden des Wallis und des Alpenrheins sowie die Magadinoebene und das Südtessin (G7). Neue Wälder und Gehölze enstanden hingegen vor allem in den Alpen. Rund 19% der schweizerischen Landesfläche wurden 2018 anders genutzt auf als noch 1985 (Änderung auf Ebene der 72 Grundkategorien der Bodennutzung, vgl. Box). Grössere zusammenhängende Flächen ohne Veränderungen finden sich fast nur in hochalpinen Gebieten, wo unproduktive Flächen wie Fels, Geröll und Gletscher dominieren.

Der Bodennutzungswandel
als grosses Nullsummenspiel
Die genannten Netto-Zunahmen und -Abnahmen der einzelnen Hauptbereiche sind das Resultat eines komplizierten Nullsummenspiels, bei dem jeder Bereich zulasten bzw. zugunsten der jeweils anderen Bereiche bestimmte Flächen gewonnen und andere verloren hat. So sind zum Beispiel nicht nur neue Siedlungsflächen entstanden, sondern es verschwanden gleichzeitig auch solche.
Die grafische Darstellung der Flächentransfers zwischen den vier Hauptbereichen der Bodennutzung (G8) lässt erkennen, dass das Wachstum der Siedlungsflächen fast ausschliesslich zulasten der Landwirtschaftsflächen erfolgte. Auch die bestockten Flächen dehnten sich stark auf Kosten der Landwirtschaft aus. Hier fand der Wandel – wie schon erwähnt – hauptsächlich in höheren Lagen statt, wo aufgegebene Alpweiden und -wiesen zunächst von unproduktiver Vegetation und anschliessend vom Wald erobert wurden.
